HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG, 01.10.02

GESICHTER & GESCHICHTEN
Die Opfer der Kunst

Patrick Döring (29) hätte auch zerhackt werden können. So wie Parteifreund Westerwelle.
Oder eine Bohrmaschine hätte mit fiesem Surren sein Auge durchstoßen.

So erging es am Sonntag im Schauspielhaus Herrn Möllemann, dem größten der lebenden Selbstgerechten. Sssssss. Täter war Regisseur Christoph Schlingensief (41), größter lebender Selbstdarsteller, der Plakate der Politiker im Versuch beschädigte, eine Wirkung zu erzielen ("Tötet." Pause. "Möllemann.").
Auch Dörings Bilder vom Straßenwahlkampf der FDP dienten als Kulisse, und das fand der, als Liberaler sonst nach eigenen Angaben ein Freund des Leben-und-Leben-Lassen, nicht witzig. "Die Grenze des guten Geschmacks ist überschritten, wenn Unbeteiligte hineingezogen werden." Und wog die Frage hin und her, ob nicht sogar als Dieb handele, wer sich seine Plakate ungefragt aneigne. Nun fragt die Kunst ihre Opfer nicht, ob man über sie wohl richten dürfe. Wo käme sie dann auch hin? Aber Döring passierte ja nichts: Sein Konterfei blieb unverstümmelt, Beschimpfungen seiner Person soll es nicht gegeben haben. Hat der Schlingensief den Döring etwa gar nicht ernst genommen?

gum




HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG, 30.09.02


KULTUR - NACHRICHTEN
Versteht Schlingensief !

Der Theaterprovokateur irritiert mit seinem "Quiz 3000" die Zuschauer im Schauspielhaus Hannover.

Eine halbe Stunde vor Ende der Aufführung gleicht die Bühne eher dem Szenario nach einer Voodoo-Orgie: Eine malträtierte menschengroße Puppe liegt auf dem Boden, ein blutiger Hahn - echt oder nicht? - mit abgehacktem Kopf, Hühnerfedern, zertrümmerte Möbel, durchbohrte Politiker-Plakate, eine zerstochene Dia-Leinwand. Die komplette erste Zuschauerreihe verlässt die Plätze, mindestens zehn Besucher quittieren die Vorstellung ganz, und eine Frau im Publikum ruft: "Das ist so widerlich! Das ist ekelhaft!"

Theaterprovokateur Christoph Schlingensief hat es wieder einmal geschafft. Sein Publikum zu verstören, wachzurütteln, aufzuklären, zur Wut zu bringen - je nachdem, wie man's sieht. Nur knapp zwei Stunden hat er dafür gebraucht, bei seiner Show mit dem eigentlich unverfänglichen Titel "Quiz 3000 - Du bist die Katastrophe", inszeniert am Sonntagabend im hannoverschen Schauspielhaus.

Dabei hatte der Abend ganz vergnüglich begonnen. Da wurden drei Videokameras auf das Publikum gerichtet, das sich so gefilmt auf zwei großen Leinwänden selbst betrachten konnte - verschnitten mit Sexszenen der schlingensiefschen Schautruppe. Der halbwissende Zuschauer dachte sich noch: "Oh, das bin ja ich - jaja, der Schlingensief, was der da wieder mit uns macht." Dann öffnete sich verzögert der Vorhang, es folgte ein Publikums-Warm-up und endlich: der Meister selbst. In Moderatorenpose, die Arme weit von sich gestreckt, frenetisch beklatscht und voll des Lobes über die Stadt an der Leine: "Hier ist eine Stadt, die ein Vorbild für uns alle ist. Hier ist eines der besten Theater in der Bundesrepublik, ein Applaus für dieses Haus!"

Bald erklärt er eine der Spielregeln des Abends. Nach dem juristischen Intermezzo in Sachen Möllemann-Tötungsaufruf in den vergangenen Monaten hat sich Schlingensief entschlossen, nur noch "Tötet!" zu rufen - den Rest möge das Publikum besorgen. Das funktioniert anfangs mit dem Namen des FDP-Politikers noch recht gut - mehrere Dutzend beteiligen sich -, wird gegen Mitte der Show im Fall des hannoverschen Oberbürgermeisters aber kehleneinschnürend: Gerade mal ein Einziger findet es geschmackvoll genug, den Namen "Schmalstieg" ins Rund der Verunsicherten zu bellen. Am meisten bekommen indes die Kandidaten der Wer-wird-Millionär-Parodie ab. Nach dem öffentlichen Casting am Freitag sind die nun den Launen des Quiz-Meisters auf der Bühne ausgesetzt. Die mutigen zehn lassen sich beschimpfen ("Ich verachte Sie"), von der Bühne verweisen ("Ich kann Studenten nicht haben"), als schwul outen und gar körperlich maßregeln: Da drückt Schlingensief einen Feuerwerker der Bundeswehr ("Haben Sie schon jemanden getötet?" - "Bislang noch nicht") unsanft mit der Hand zu Boden. Der Mann versucht aufzustehen, Schlingensief lässt ihn nicht, drückt weiter, empfiehlt ihm, den Job zu wechseln. Dann lässt er ihm im Namen der schlingensiefschen Revolutionsreligion Vergebung zukommen. Kurze Zeit später verlässt der Mann entnervt die Bühne.

Das übrige Quiz gerät zur Farce. Eine einzige Kandidatin darf überhaupt nur Fragen beantworten - solche wie "Ordnen Sie die folgenden Konzentrationslager von Nord nach Süd" und "Welcher FDP-Politiker war an der Erschießung von mindestens 112 holländischen Juden beteiligt?". Schließlich geraten die Kandidaten endgültig ins Abseits des Bühnenrands, und Schlingensief verlegt sich auf die Beschimpfung der "Fuzzis" im Publikum, nimmt besagten Hahn und eine Axt, verschwindet, kommt blutüberströmt und mit tierischem Kadaver wieder. Er zerfetzt eine Leinwand und droht, leere Patronenhülsen in den Zuschauerraum zu werfen - mit der Empfehlung, den Raum zu verlassen, in Stuttgart habe sich ja schließlich schon mal jemand verletzt.

Alles nur Spiel, Satire darf alles? Schlingensief überschreitet Grenzen. Er mutet seinen Kandidaten mehr zu, als sie wohl erwartet haben. So gibt der Profi Schlingensief sie, die Laien, im wahrlich ungleichen Kampf auf der Bühne der Öffentlichkeit preis. Die Kandidaten haben sich darauf eingelassen, aber wer von ihnen kannte wohl wirklich Schlingensief vorher?

Dahinter steckt für das Enfant terrible Konzept: "Die Revolution findet in uns selbst statt", deklamiert er. Alles dreht sich um Macht: Da stehen zwei potenziell freie Menschen auf der Bühne. Der eine, Schlingensief, übt Macht aus, der andere unterwirft sich (oder auch nicht). Und so spielt sich Schlingensief als Diktator und Bühnengott auf, im offenen Widerspruch zu seinem Ideal des "Keiner wird unterdrückt" und in Vorführung sozialer Mechanismen. Am Ende gibt es nur verhaltenen Applaus. Aber immerhin taucht der Hahn unbeschadet wieder auf.

Johannes Dorndorf

 

 

 

Pressesiegel der Mai-Veranstaltung am Schauspielhaus, Frankfurt


Frankfurter Rundschau vom 20.5.2002

Die Katharsismaschine - Theater als Polis bei Schlingensiefs "Quiz 3000"

Von Florian Malzacher

Fragen über Fragen. Sortieren Sie folgende Konzentrationslager von Nord nach Süd, zum Beispiel. Oder: Ordnen Sie die Ereignisse am letzten Tag im Leben von Robert S. chronologisch. Oder: Wie viele Menschen sind in Abschiebehaft am Frankfurter Flughafen bisher ums Leben gekommen? Fragen, die man lieber nicht hören will, vor allem nicht in einer Quizshow, wo der Skandal nicht die Frage, sondern der Anschein ihrer exakten Beantwortmöglichkeit ist.

Christoph Schlingensiefs Quiz 3000 - Du bist die Katastrophe, das nun am Schauspiel Frankfurt zwei Abende zu Gast war, stülpt sich die Hülle der Jauch'schen Wer wird Millionär-Show über, zerrt und zuppelt an ihr, vernachlässigt, was nicht interessiert (die Kandidaten zum Beispiel und gern auch mal die Antworten) und zieht dafür uns selbst als neuen Inhalt mit hinein: Die Welt in der wir leben als Zusammenhang. Das Gegenteil also vom punktuellen Trivial-Pursuit-Faktenwissen, wie man es bei Jauch braucht. Ein strukturalistischer Aufklärer anstelle eines positivistischen Belehrers.

Anders als bei der Berliner Premiere, wo der Moralist scheint's als Teufel die Aggressionen lieber auf die Kandidaten lenkte (FR vom 18. 3.), ist in der stark veränderten Frankfurter Fassung Schlingensief wieder zur sich selbst für unsre Sünden opfernden Heilandsfigur geworden: Ein theatralischer Sündenbock und Seher und Held zugleich, eine wandelnde Katharsismaschine, ein Furcht-und-Mitleid-Erzeuger. In kaum einer anderen Schlingensief-Arbeit ist die Nähe zum griechischen Theaterkonzept so plausibel und wirkungsvoll wie hier.

Nicht nur Christoph Schlingensief als Subjekt-Repräsentant wird in Frage gestellt, vor allem die Zuschauer werden zur Frage, werden mit (nonverbalen) Fragen bombardiert. Ein Frageterror, der weniger Antworten als Haltungen verlangt - die Möglichkeit des Zurücklehnens gibt es nicht, unentwegt muss das Publikum fühlen, reflektieren, sich positionieren, wie in keiner anderen Theatersituation unserer Zeit. Wegen dieser immensen Lebendigkeit ist - trotz aller Komplexität und Reflektiertheit im nur vermeintlichen Chaos - das Gelingen der Show immer auch von der Tagesform abhängig, weshalb der zweite Frankfurter Abend explosiver war als der erste.

Schließlich ist alles immer Theater - was Mancher, nicht nur wenn's um Strafanzeigen geht - vergisst. Dass alle Schlingensief-Aktionen nur als eine Art theatralischer Pakt funktionieren können, darauf weist er in seiner Inszenierung gleich mehrfach und gleich zu Anfang hin: Erst nach einem Tschechow-Monolog, der Leiden, Leidenschaft und Theater in einen Zusammenhang stellt, geht der Vorhang auf. Und bevor er sich zwei bis zweieinhalb Stunden später wieder senkt, nochmals ein Monolog vor menschenbedeckter Schlachtfeld-Bühne: Ein Shakespeareschluss, ein Theaterschluss.

Quiz 3000 ist eben nicht die Summe von Aktionen, obwohl es derer genug gab, vom Mordaufruf gegen allerlei Politiker, Stühle zerschlagen und Behinderte aus- (oder doch eher in den Mittelpunkt?) stellen - alles bekanntes Repertoire, das alleine nichts erklärt ohne Kontext und Struktur.

Und die Kandidaten? Wo alle gefragt sind, stehen sie jedenfalls nicht im Mittelpunkt. Am ersten Abend sehen sie sich ohnehin gleich an den dunklen Bühnenrand verbannt, um erst zum Schlussapplaus - unbefragt - wieder aufzutauchen. Am zweiten dann werden sie in einer langen Vorstellungsreihe präsentiert, vorgeführt und gerne auch beleidigt, etwa wegen Schielens oder eines Schnurrbarts.

Und dann gab's ja noch die hübsche Kandidatin mit der aufgerollten Unterhose - "ein Trick", damit es ausschaut, als habe sie keine an. Kann so jemand echt sein? Mit kokettem, schlaunaivem Mädchen-Augenaufschlag gesteht sie ihre wahre Sorge: Eine Wissensfrage, das fänd sie etwas doof.

Aber ums Wissen geht es ja ohnehin weniger als ums Erkennen. Und so liefert Schlingensief später außer Atem noch im größten Tumult und Chaos den Außenblick der Rezeption: "Ich fand's provozierend - Na, ich fand's poetisch."

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Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 20.05.2002 um 21:08:45 Uhr
Erscheinungsdatum 21.05.2002

 

Schlingensief verstörte im Schauspiel das Publikum
Frankfurt (dpa) Mit politischer Agitation hat der umstrittene Theatermacher Christoph Schlingensief in seiner Aufführung «Quiz 3000 Du bist die Katastrophe» am Freitagabend im Schauspiel Frankfurt das Publikum verstört. Im Vergleich zu zwei gleichnamigen Aufführungen Mitte März in Berlin hatte Schlingensief für Frankfurt das Konzept geändert: Statt eine mehr oder weniger unterhaltsame «Wer wird Millionär»-Parodie zu präsentieren, beschimpfte Schlingensief Prominente, Institutionen und das politische System. Dabei fielen Sätze wie «Bringt mir den Kopf von Roland Koch.»

Die eigens für die Veranstaltung gecasteten Kandidaten aus dem Rhein-Main-Gebiet kamen fast gar nicht zu Wort. Schlingensief stellte die Fragen stattdessen einer offenbar eingeweihten «behinderten Frau». Die Aufführung im ausverkauften Schauspielhaus dauerte gut 100 Minuten. Vielen Zuschauern war Verärgerung anzusehen. Nur wenige wirkten amüsiert. Am Samstagabend sollte es eine zweite Aufführung geben.


Publikumsbeschimpfung !
erstellt 18.05.02, 17:38h, aktualisiert 19.05.02, 20:04h
Frankfurt/Main - Mit politischer Agitation hat der umstrittene Theatermacher Christoph Schlingensief in seiner Aufführung «Quiz 3000 - Du bist die Katastrophe» am Freitagabend im Schauspiel Frankfurt das Publikum verstört.
Im Vergleich zu zwei gleichnamigen Aufführungen Mitte März in Berlin hatte Schlingensief für Frankfurt das Konzept geändert: Statt eine «Wer wird Millionär»- Parodie zu präsentieren, beschimpfte Schlingensief Prominente, Institutionen und das politische System. Vielen Zuschauern war Verärgerung anzusehen. Andere wirkten amüsiert. www.quiz3000.de (dpa)
Das Enfant terrible des deutschen Theaters, Christoph Schlingensief, hat wieder einmal für Verwirrung gesorgt und bei der Aufführung seines „Quiz 3000“ in Frankfurt Schimpftiraden abgelassen. Bild: Aufführung des „Quiz 3000“ auf der Berliner Volksbühne (15.03.2002), bei der Schlingensief (r) noch die TV-Erfolgsshow «Wer wird Millionär?» von Günther Jauch nachspielte. Neben Schlingensief die Schauspielerin Corinna Harfouch.

 

Main-Echo vom 21.5.2002

Er will nicht unterhalten und schon gar nicht fair sein
Meister-Provokateur Christoph Schlingensief mit seiner Parodie »Quiz 3000« im Frankfurter Schauspiel

»Quiz 3000« heißt die Show, bei der Chris-toph Schlingensief in den Fußstapfen von Rate-König Günther Jauch durch die Theaterlandschaft stapft. Beim Kandidatencasting in Frankfurt kam es am vergangenen Montag zu ersten Turbulenzen. Als die Wachmänner der Deutschen Bank den Schlingensief-Trupp anrücken sahen, ließen sie die Rollgitter sinken. Die Kollegen von der Dresdner Bank waren nicht ganz so flott. In ihrem Vorraum konnte Schlingensief sein Casting beginnen. Ein Mitarbeiter versuchte den Eindringling zu vertreiben. Der aufgeregte Spätdienstleister machte als Videoprojektion im Großen Haus des Frankfurter Schauspiels noch Spaß. Lachen und Klatschen angesichts seines Spießer-Outings.

Eine Stunde später verlassen dieselben Zuschauer die Vorstellung; einer gibt dem anderen die Klinke in die Hand. Sie amüsieren sich nicht mehr, sind gelangweilt, kapieren die blöden Späße von Schlingensief nicht. Warum wirft der sich dauernd auf den Boden wie dereinst Michel Friedman, der damit die Aufführung von Fassbinders »Der Müll, die Stadt und der Tod« verhindern wollte? Das ist nicht lustig. Oder doch? Warum droht er den Aktionären, sie mitsamt ihrem Aktienpaket zu überfahren. Das ist unfair. Oder doch nicht?

Schlingensief will nicht unterhalten, er will nicht amüsieren, er will nicht fair sein. Er hält jedem Zuschauer den zugehörigen Reizstoff so lange unter die Nase, bis der reagiert. Dabei führt er seine Zuschauer auf die gleiche Weise vor wie den Mitarbeiter der Dresdner Bank. Im »Quiz 3000« findet jeder seinen Reizstoff. Zunächst die Tierfreunde: Ein Huhn, beengt im Käfig hockend, bringt Achim eine Frage weiter, wenn er ihm hinter der Bühne den Kopf abhaut. Achim kommt mit blutendem Hühnerkopf in der einen und Hühnertorso in der anderen Hand zurück. Oh Wunder der Requisite! Nur der Kopf blutet und nicht der Leib, also ist das getötete Huhn nicht echt. Glück gehabt, keine Aufregung nötig.

Dann sind die Heimatvertriebenen dran: Die schlesische Telefonistin nimmt telefonische Fragen entgegen, die keinen interessieren. Roberto Cappelluti rennt mit dem Mikrofon durchs Publikum und sammelt Antworten, die ebenfalls keinen interessieren. Christoph Schlingensief tanzt über die Bühne, was auch niemanden interessiert.

Zwischendurch tauscht er sich mit Helga und Achim über die Fragen aus, die Geld bringen. »Welche Abiturprüfung schwänzte Robert Steinhäuser am Freitag, dem 26. April 2002?« Helga hat einenBuckel, ihr Mann Achim ist extrem kurzsichtig und seine Hose steht offen. Helga und Achim sind die Behinderten, die Peter Kern als Sonderkandidaten mitbringt. Als ihn ein Herzanfall niederwirft, liegt er wie ein gestrandeter Wal auf der Bühne.

Der Vorhang fällt (»is’ jetzt Pause?«), Geschrei nach Feuerwehr und Rettungsdienst, der Vorhang geht auf, Peter Kern ist wieder hergestellt. Er sitzt neben Brigitte Seebacher-Brandt, die nicht höchstselbst erschienen ist, sondern von einer Schauspielerin auf Krücken über dieBühne geschleppt wird und immer wieder äußert, wie todtraurig sie über den Verlust von Willi Brandt ist. Dabei ist sie doch jetzt mit dem Chef der Deutschen Bank zusammen, oder? Und der ist der Nachfolger von Alfred Herrhausen, der laut Schlingensief »wie ein HB-Männchen in die Luft ...« gegangen ist. Selbst Helga weiß, dass die Deutsche Bank mit dem Geld der Taliban-kontrollierten afghanischen Staatsbank wirtschaftet. Was für ein Glück!

Helga ist genauso unecht wie das tote Huhn und Peter Kerns Herzattacke. Sonst wäre es ein echter Aufreger für die moralisch Einwandfreien, wie Schlingensief die Frau vorführt. Als Kandidatin hatte sie sich dadurch qualifiziert, dass sie die Begebenheiten am letzten Tag von Robert Steinhäuser, dem Erfurter Amokläufer, am raschesten in die richtige Reihenfolge bringen konnte. Es begann mit dem Belügen von Mutter Steinhäuser und endete in einer Katastrophe. Ja, so sind die Geschichten, die Christoph Schlingensief im Alltag aufsammelt.

Er zeigt, dass wir alle mehr wissen, als wir wahrhaben wollen. Dieses Wissen lässt sich nicht in hygienisch einwandfreie Portionen verpacken wie die Marmelade in einem billigen Hotel. Einem kollektiven Groll über die böse Welt verweigert sich Schlingensief. Er entzieht sich den tollen Leuten, die seine tolle Show sehen wollen, um sich toll zu fühlen, weil sie ihn tollfinden. Schlingensief funktioniert nicht wie die Toten Hosen oder die BöhsenOnkelz. Lieber setzt er eine Vorstellung in den Sand und lässt sich dafür watschen, als dass er sich Bussis des Dankes auf die Wange drücken ließe.

Doch was wurde aus den medienwirksam gecasteten Kandidaten für das Frankfurter »Quiz 3000«? Die zehn Männer und Frauen wurden mit großem Brimborium auf die Showbühne geführt und von zehn wunderhübschen und leicht bekleideten Assistentinnen im Bühnenhintergrund zwischengelagert. Dort strahlten sie bis zum Ende der Show vor sich hin. DenSegelflug zwischen Frankfurts Hochhäusern gewann keiner. Ulrike Krickau

 

Offenbachpost vom 21.5.2002

Kabinett des Kuriosen

Das Segelflugzeug vor dem Frankfurter Schauspiel lockt nicht nur Theatergänger. "Dies könnte Ihr Preis sein", wirbt der Flieger für Christoph Schlingensiefs Ratespiel-Persiflage "Quiz 3000 - Du bist die Katastrophe", das jetzt am Willy-Brandt-Platz gastierte.

Im Foyer versammeln sich Kandidaten hinter Absperrband auf Lederpolstern um Erdnussflips, Softdrinks und das elektronische Lagerfeuer, über das irgendein Ratespiel flimmert. Sie warten vergeblich: Denn bei "Quiz 3000" gibt es weder Geld, noch Ruhm zu ernten. Stattdessen werden sie einer Lehrstunde mit dem Holzhammer teilhaftig, alle Register der Fernsehwelt ziehend. In den Mittelpunkt rücken zwei Behinderte, die mit ihrem Wissen zu Startbahn, Friedman, Flughafen-Abschiebung und heiklen Interna der Deutschen Bank glänzen.

Auf der Bühne versammelt Profi-Provokateur Schlingensief ein Kabinett der Kuriositäten: da räkelt sich ein übergewichtiger, mit Dynamit bepackter Schnarcher in einem Fernsehsessel, Models marschieren wie Roboter über die Bühne, ein Franz-Lambert-Verschnitt malträtiert seine Orgel, und über Leinwände flimmern Sequenzen von Krieg, Elend, Neonazis und Hitler. Am Rande der Bühne Porträts des Erfurter Massenmörders Robert Steinhäuser und des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, davor Blumen und eine Kerze.

Schlingensief dreht derweil Pirouetten auf der Bühne, stößt Verwünschungen aus, flucht und deklamiert. Herrhausen wird zum "HB-Männchen", er brüllt "bringt mir den Kopf von Roland Koch", trampelt auf dessen Porträt herum und erntet dafür tosenden Beifall.

Gespielte Herzanfälle, blutige Tieropfer, triefende Sentimentalität: Schlingensief kostet den künstlichen Gefühlshaushalt des Fernsehens bis zur Geschmacklosigkeit aus. Immerhin hat seine rührige Selbstvermarktung in ebendiesem Medium Folgen: Selten war so viel Jugend im Schauspielhaus. Ob die allerdings merkte, dass hier statt Theater nur TV gespielt wurde? CARSTEN MÜLLER



Frankfurter Rundschau
Der Lehrerprofi

Ein Fall für den Pressesprecher der Dresdner Bank: Christoph Schlingensief castet für sein "Quiz 3000"

Am Anfang und am Ende: Aufruhr. Geplant, ruhig und routinemäßig vollzogen, ja sogar mit einem Augenzwinkern. Ein Aufruhr- und Provokationszitat: Christoph Schlingensief rief auf zum Kandidaten-Casting für seine Show Quiz 3000, eine Wer wird Millionär?-Adaption, die am Freitag und Samstag im Schauspiel Frankfurt zu sehen ist. Und weil Frankfurt Frankfurt ist und Schlingensief Schlingensief, musste dieses abendliche Casting natürlich in einer Bank stattfinden: Die Deutsche ließt beim Anblick der Menschenmenge mit ihren "Quiz 3000"- und "Kandidaten"-Transparenten sofort das Rasselgitter runter, ein Burggraben war nicht vorhanden.
Also weiter zur Filiale der Dresdner, gleich um die Ecke, Klapptisch im Vorraum mit den Bankautomaten aufgebaut, Transparent entrollt und los geht's. Schlingensief als Jauch in schwarzer Uniform, die irgendwie an SS erinnert, mit silberner Extraborte für den Häuptling. Einzeln treten die rund fünfzig Kandidaten ein, davor gleich drei bis vier Mikros vom HR, einige Kameras, Fotografen, Schreiberlinge - soviel Publikum muss sein und soviel Publikum braucht Schlingensief auch, der genau die Anwesenheit und Position der Kameras registriert, wie ein Aufputschmittel. Ein Medienprofi. Und ein Redeprofi allemal.
Und: ein Kommunikationsprofi, was nicht bedeutet, dass er den anderen ausreden lässt. Treffsicher ordnet der die Menschen ein, variiert seinen Stil, lockt und stößt zurück; schon mit der ersten Frage - gerne: "Wie finden Sie meine Sendung?", dabei hat er gerade gar keine - hat er sie im Griff. Leute, die Spass suchen - "Was soll das sein: just for fun, das hört man jetzt immer öfter, was bedeutet das für Sie?" - oder die Provokation, die Kunst, den Event, interessieren ihn weniger.
Vor allem die "ganz Normalen", die Hausfrauen, Arbeiter, Arbeitslosen und sogar einer vom BKA bleiben im Rennen, ganz egal ob sie nun die Konzentrationslager von Nord nach Süd ordnen können, wissen, wie viel Kinder in Deutschland vergewaltigt werden oder welcher Politiker den Begriff "durchrasste Gesellschaft" geprägt hat. Gleich zwei hintereinander tippen auf einen Grünen, Joschka Fischer zum Beispiel. Da muss sogar der Meister grinsen.
Schlingensief ist charmant, fordernd, hart und einfühlsam, wie es sich ergibt. Und immer schlagfertig. Günter Jauch heftet das Etikett des Schulmeisters an, des Oberlehrers; kein Wunder bei der Frage-Antwort-Struktur des Quiz' und dem Schwitzen seiner Kandidaten. Auch dieses Casting erinnert an die Schule, was bei Jauch aber im Klassenzimmer stattfindet, geschieht hier im Kämmerlein des mündlichen Abiturs: Die direkte Gegenüber-Situation, die Presse als Beisitzer und die restlichen Kandidaten vor der Tür. Mal gibt's Hilfe vom Lehrer - "das würde ja bedeuten, dass jeden Tag eine ganze Kleinstadt vergewaltigt würde!", mal ein harsches Ende und "Raus", mal ausführliche Erklärungen, das pädagogische Anliegen noch in der Prüfung: "Mit der Polis ist das ja so ...". Schlingensief spielt die Lehrer-Klaviatur in allen denkbaren Nuancen, good cop, bad cop in einem. Nur: Ob die Antworten richtig oder falsch sind, das ist völlig egal.
Merkwürdigerweise gehören diese Zweiersituationen zu den dichtesten und überzeugendsten Schlingensief-Werken überhaupt, Schlingensief als Kammerspieler statt als Hallenentertainer.
Doch irgendwann haben sich die Anzugmenschen hinter der verschlossenen Tür der Dresdner-Bank-Filiale geeinigt, wer raus muss, die Meute aus den eigenen Räumen zu entfernen. Vermutlich weil Kameras anwesend sind, ist das ein Fall für den Pressesprecher. Natürlich hat er keine Chance, als moralischer Sieger hervorzugehen. Er übernimmt den Part des Schuldirektors, lässt sich auf nichts ein, bleibt hart und ruhig, nur als er "Sparkassen-Direktor" genannt wird, muss er kurz grinsen - auch seine Ernstheit ist eine Rolle. Und Schlingensief wird plötzlich Schüler, schlauer Klassenclown. Auch diese Klaviatur beherrscht er. Tadellos.

 

 

Pressesiegel der März-Veranstaltung an der Volksbühne, Berlin


DIE ZEIT


Kultur 13/2002
Der Mann mit der Moralkelle

"Ordnen Sie folgende KZ von Nord nach Süd":
Christoph Schlingensief parodiert Günther Jauchs Rateshow

von Peter Kümmel


Wichtiges neues Wort: "einloggen". Eigentlich bedeutet es, dass jemand ein Passwort in den Computer tippt und Zugang zum System erlangt. Seit kurzer Zeit bedeutet es noch etwas anderes: Ein Quizkandidat entscheidet sich für eine Antwort und erhält, möglicherweise, Zugang zum großen Geld. Wer nicht weiß, wie sich das Einloggen anfühlt, hat noch nichts Wichtiges erlebt. Ist die Frage eingeloggt, folgt Triumph oder sozialer Tod. Das Einloggen hat auch einen Klang: Der Synthesizer macht ein kleines Quiekgeräusch, als sei gerade ein Nagetier überfahren worden.
Jetzt ist oben auf der Bühne Rainer P. aus Berlin, gelernter Physiker, am Einloggen. Er zögert. "Wozu wurde das Haar verwendet, das den Opfern des KZ Auschwitz geschoren wurde?", hat der Quizmaster gefragt. Rainer P. sagt: "Ich würd mal den Joker nehmen" und holt seinen Freund aus dem Saal auf die Bühne. "Antwort D", sagt der sanft, "aber ohne Garantie, Rainer!" Antwort D lautet: zu Rasierpinseln. "Gut, loggen wir D ein", sagt der Quizmaster. Es macht Quiek. Wir halten den Atem an. Der Master sagt: "Antwort D ist ... falsch!" Richtig war B: zu Teppichen und Socken.
Der Quizmaster auf der Bühne ist ein Rächer, sein Quiz ist eine Nemesis-Show. Was die Deutschen verdrängen, das soll sie nun als Frage ereilen: "Ordnen Sie folgende Konzentrationslager von Nord nach Süd - Auschwitz, Bergen-Belsen, Dachau, Ravensbrück." Er stellt keine Fragen, die uns in die Schule und in den Stand der Unschuld zurückversetzen. Er stellt Fragen, die zu einer Schuld zurückführen, einem Grab oder mindestens zu einer Lüge.

Der Regisseur Christoph Schlingensief agiert wie ein Greenpeace-Aktionist: Wenn er ein Thema entdeckt, kettet er sich dran. Die Leute von Greenpeace ketten sich an Bohrinseln, Sondermülltransporter, Reaktoren. Schlingensief kettet sich derzeit an den Quizmasterhocker von Günther Jauch. Quiz 3000 - Du bist die Katastrophe heißt der Abend an der Berliner Volksbühne, der Jauchs erfolgreiche Show Wer wird Millionär? speziell und die deutsche Samstagabendunterhaltung im Allgemeinen nachstellt. Es gibt echte Kameras, und es gibt eine Live-Übertragung zu den Menschen draußen im Land. In Anna Viebrocks sakrales Bühnenbild, das aus Christoph Marthalers Inszenierung der Zehn Gebote stammt, ist der Geist von Köln-Hürth gezogen. Kandidaten kommen aus schalldichten Kabinen, haken sich bei lächelnden Assistentinnen unter, werden auf offener Bühne nachgepudert, dürfen zum Finale nach vorne. Der Master stellt die Jury vor, fragt die Regie, dankt der Technik, überzieht die Sendezeit. Schlingensief macht das alles mit, er ist der Sklave des Sendeablaufs, aber natürlich ist er ein ironischer Sklave. Und das Volksbühnen-Publikum tut das Angemessene, es versucht, möglichst sarkastisch zu jubeln, aufsässig zu klatschen, anarchisch zu schunkeln.

Das wohltätige Gift
Quiz 3000 treibt Spott mit der Verdrängung. Es macht sich lustig über das kollektive deutsche Kunststück, das darin besteht, die Zeit zwischen 1933 und 1945 in einem Sprung hinter sich gebracht zu haben. In der TV-Unterhaltung sind diese zwölf Jahre so tabu wie in Jauchs Fragekatalogen. Schlingensief holt seine Fragen sozusagen aus den Gräbern; er macht schwarze Deutschenwitze im Geiste der englischen Boulevardpresse: Hinter jedem Bundesbürger lauert noch eine Nazipointe. Manchmal fällt Schlingensief, dem es unmöglich ist, aus der Rolle zu fallen, an diesem Abend fatalerweise in die Rolle. Dann ist er plötzlich ein Chefankläger, und man spürt die Erleichterung des Mannes, der auf der richtigen Seite steht, den Kleinkünstler, dem die Sache ernst ist. Stoiber, sagt Herr Sch., schweigt doch bloß deshalb zum SPD-Spendenskandal, weil "er schon die eigene Scheiße im Keller hat". Jetzt erinnert er an Hans-Joachim Kulenkampff, der gern, wenn die Kandidaten abgespeist waren, beiseite sprach und politisches Kabarett machte, ehe Herr Jente mit dem Mantel kam und ihn von der Bühne fing.

Gut ist Schlingensief immer dann, wenn er so scheinbar absichtslos summend ins Blaue fragt wie Alexander Kluge. Man ahnt dann die Neugierde der Soziologen. Schlingensief verschafft sich nicht wie Pierre Bourdieu Zugang zu fremden Wohnzimmern und fremden Welten, indem er anklopft und Lernfragen stellt, sondern indem er sich ins Fernsehen begibt und versendet. Er probiert alle Wege, alle Winde der Kommunikation, und wenn er könnte, würde er seinen Witz in die Klimaanlagen einstreuen. Einer wie er muss träumen von einem menschenfreundlichen Anthrax, einem gerechten Gift, unter dessen Einfluss man nur das Beste tut.

Die prominenten Gäste stören nicht weiter, die Schauspielerinnen Bibiana Beglau, Corinna Harfouch und Sylvia Seidel, der ironieresistente Lebemann Rolf Eden, die stadtbekannte Glücksforscherin Helga Goetze ("Ficken - Frieden - Liebe"). Sie müssen aber da sein, ihre magische Präsenz soll uns im Glauben bestärken, hier gehe es um die Rückeroberung öffentlichen Raums.
Der Musiksender MTV zeigt nachts eine Kultsendung namens Jack Ass, in der junge Männer sich und einander voll Freude Schmerzen bereiten. Sie springen in Klärbecken, lassen sich von Autowaschanlagen in die Mangel nehmen, hauen sich gegenseitig die Fäuste in den Magen, lassen sich von Wagen, Schlitten, Kanalrohren überrollen, kollern auf Funboards felsige Hänge hinab, entblößen sich in der Straßenbahn - und lachen, lachen, lachen: der Schmerz und die Peinlichkeit als die besten aller Trips. Wo diese Amerikaner Trash-Stunts machen, da macht Schlingensief Sozial-Stunts. Die MTV-Boys springen ärschlings in den Abschaum, Schlingensief hüpft aufrecht, mit dem Kopf voran, in Situationen. Vielleicht, so denkt sich der Beobachter, ist der "Schlingi" bloß die uns gemäße Variante solcher masochistisch-exhibitionistischer US-Bürschlein und Jauche-Surfer: der deutsche Spaßmacher, der immer, wenn die Sache in Fahrt kommt, seine Moralkeule, nein, seine Moralkelle rausholt und uns rechts ran winkt: Ordnen Sie folgende Konzentrationslager von Nord nach Süd.

Aber es wäre ungerecht, die Moralkelle für seine einzige Waffe zu halten. Schlingensief hat das Theater und vielleicht sogar das Land verändert. Er ist ein Monteur und Collagist, der mit seinem Material tanzt und es zum Schunkeln zwingt. So hat er die ganze Kulturszene lockerer gemacht. Er hat Irrwitz als Funktion von Zivilcourage definiert. Und er übersetzt Courage ins Theatralische: Es gibt keine Löwenhöhle, die vor seinem Theater sicher wäre.
Der Rest der Republik ist solchem Irrwitz noch nicht gewachsen. Das belegt eine Meldung, die vergangene Woche durch die Presse ging. Bei dem Festival Theater der Welt 2002 (21. bis 30. Juni) will der Programmchef Matthias Lilienthal, einst Dramaturg der Berliner Volksbühne, eine Plenarsitzung aus dem Reichstag in den ehemaligen Bonner Plenarsaal übertragen und dort von 600 "Laien", also Bürgern, nachspielen lassen, mit allen Zwischenrufen, Hustern, Applausscharmützeln. Das Hohe Haus im Sturm seiner Rückkopplungen - das ist, kein Zweifel, eine Idee aus Schlingensiefs Zettelkasten. Lilienthals Spiel hat den Titel Deutschland 2, und seine Folgen wären unabsehbar: die Legislative, betört vom eigenen Echo und verdunkelt vom eigenen Schatten.

Lauter Fehlbeseelungen
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat Deutschland 2 gleich verboten, weil es mit "Ansehen" und "Würde" des Bundestags nicht vereinbar sei. Er fürchtete wohl die "Fehlbeseelung" seines Hauses (ein Wort des Kanzleramtsarchitekten Axel Schulte) durch die Geister des Trash und der Comedy. Thierse hätte sich an eine andere Fehlbeseelung erinnern sollen, die im Februar 1999 den Reichstag erfasste: 1100 Soldaten der Bundeswehr waren in den neuen Plenarsaal eingerückt und spielten Parlament. Ihre Aufgabe war es, die Tonanlage zu testen. Jeder Soldat sprach ein Kurzreferat zum Thema "Die Städte und Länder dieser Erde." So erlebte der Reichstag die größte Theaterprobe der deutschen Bühnengeschichte: Exekutive spielte Legislative. Verteidiger des Landes vertraten Stellvertreter des Volkes. Bürger in Uniform ergriffen das Wort und ließen es friedlich wieder los. Soldaten verscheuchten den Geist Hitlers mit zivilem Applaus. Ein herrliches Deutschland 2 tat sich auf. Schlingensief wird in dieser Richtung weiterarbeiten. Er wird nicht ruhen, ehe ganz Deutschland Deutschland 2 geworden ist.




Jungle World
Nr. 13/2002 - 20. März 2002

Das ganze Leben ist ein Quiz

Christoph Schlingensief covert Günther Jauchs Millionen-Quiz.
Eine Persiflage ist das Stück nicht.
von ambros waibel

Hallo, hier sind Danni und Joy vom freundlichen Casting-Team von 'Quiz 3000'. Wir haben bereits alle Kandidaten ausgewählt, äähm, Sie müssen also nicht mehr aufs Band sprechen." Hatte ich aber schon längst wie zehntausend andere Berliner gemacht und diverse Freunde angestiftet, es auch zu tun. Wir bekamen keine Chance.

Die Frage war eine Nonsensefrage zur Person Christoph Schlingensiefs, aber die Stimmen der Auswahl-Assis klangen so freundlich, flott und jugendlich, dass ich beschloss, depressive Verstimmungen in Zukunft durch Anrufe bei Kandidaten-Hotlines zu bekämpfen, statt beim Kriseninterventionsdienst anzuklingeln. Also, schon profitiert und was gelernt - nicht umsonst wird "Quiz 3000" von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert : Wer lässt uns raten? Die Sozialdemokraten!
Wer aber sagt "Gedenken vornehmen"? Stoiber? Fischer? Oder Haider? Schlingensiefs Rolle ist gegenwärtig die des enttäuschten Get-together-Maklers, er ist und bleibt Sozialdemokrat, enttäuscht von den Sozialdemokraten, aber vor allem von ihren Wählern. Die Menschen da draußen am Rande sind krank, hässlich und schlecht angezogen, das ist der Bärbel-Schäfer-Ablach-Effekt, der sich sofort einstellt und den Schlingensief durchaus fördert. Als die Kandidatenriege in der improvisierten "Wer-wird-Millionär?"-Kulisse Aufstellung nimmt, geht er mal eben vorbei. "Sie, Sie, Sie und Sie können wir heute nicht gebrauchen, kommen Sie bitte morgen wieder", und die Leute gehen, nehmen im Bühnenhintergrund Platz und bleiben da die ganzen zweieinhalb Stunden hospitalistisch hocken.

Die Bewerber, die es auf den Jauch-Stuhl schaffen, sind entweder blöde oder politische Altaktivisten, die auf nicht unsympathische Weise ihre Botschaften ans Volksbühnenpublikum richten. Raten müssen sie nicht, der Moderator leistet charmant-parteiische Hilfestellung, bis sie ihn irgendwann langweilen und er räumen lässt. Zeitdruck, neue Gesichter, neue Fragen.
Die Fragen kommen angeblich von oben erwähntem Hauptsponsor, sind also amtlich und wurden gegengeprüft durch Schlingensief-Justiziar Oberstaatsanwalt a.D. Dietrich Kuhlbrodt. Die Fragen gehen so: "Wie viele Fotobildbände über den 11. September kommen auf einen Bildband über die Bürgerkriegsopfer in Somalia?" - "Wie viele kurdische Kriegsdienstverweigerer sind 2001 nach ihrer Abschiebung aus der BRD in der Türkei zu Tode gefoltert worden?" - "Ordnen sie folgende Konzentrationslager von Nord nach Süd: Auschwitz, Bergen-Belsen, Ravensbrück, Dachau."
So, wie sie hier steht, ist diese Frage widerlich sinn- und respektentleert, im Kontext von "Quiz 3000" funktioniert sie anders. Zu Testzwecken mache ich mit und liege immer falsch. "Quiz 3000" handelt davon, dass wir nichts wissen, uns nichts merken, keine konkreten Fakten, um es mit denen, die uns regieren, wirklich aufzunehmen; wir sind überhaupt keine ernst zu nehmenden politischen Subjekte und sind eindeutig selbst schuld daran. Die Kandidaten werden stellvertretend für uns - Publikum, BRD-Bevölkerung - vorgeführt, deswegen brandet immer mal wieder diese seltsame Solidarität zwischen Zuschauern und Kandidaten auf.

Auch die Prominenten werden nicht verschont, Schauspielerin Sylvia Seidel ("Anna") wird fast lustlos abgewatscht, und was macht sie? Sie sagt, sie sei gekommen, um einmal mit Schlingensief zu arbeiten, lächelt und verschwindet aus der Geschichte.
Zu holen gibt es sowieso für niemanden etwas, der Moderator bestätigt die Fahruntauglichkeit des vor der Volksbühne platzierten Schrottmercedes, der als Hauptgewinn angekündigt war; das Rätsel, in welcher Währung die Gewinne ausgezahlt werden, bleibt ungelöst, vermutlich ist es die afghanische. Der Abend ist keine Parodie, das wäre viel zu teuer, man kann keine Gladiatorenspiele parodieren, ohne denselben riesigen Aufwand zu betreiben, der nötig ist, um uns vor dem Fernseher zu halten, damit wir idiotischen Antworten auf verdummende Fragen entgegenfiebern.
"Quiz 3000" hat eine Grundthese, Schlingensief erläutert sie in einer kurzen Überleitung: Er habe keinen Bock mehr auf Projekte "zusammen mit", Aktion, Widerstand "zusammen mit"; er glaube vorerst überhaupt nicht mehr an "zusammen mit", nicht zusammen mit Leuten, die nicht mal in der Lage sind, die Zeitung zu lesen. Wer will, bekommt Zeit, das zu verdauen, dafür sorgt eine laienspielverwandte Werbepausenersatzdramaturgie. Schlingensief singt Rocko Schamoni; Schorsch Kamerun und die Musikschule Westerland treten auf, Maskottchen, Blindenhund und zahllose Assistentinnen überschwemmen die Bühne, es blinkt und jingelt und rückkoppelt, die Computerleute haben sich wahlabendmäßig hinter ihren Schirmen verschanzt, die Telefonhotline ist geschaltet, die Promis werden zugeschaltet.
Das ist der Moment, in dem mein Sitznachbar, der dauernd seufzt, fast sehnsüchtig nach seiner International Herald Tribune schielt, Zeitung lesen, um bitte nichts zu erfahren.
Schlingensief ist da etwas gelungen, das nichts mehr mit Persiflage und Parodie zu tun hat. "Quiz 3000" soll demnächst fortgesetzt werden auf den Bühnen von Frankfurt, Zürich und anderswo, und im Offenen Kanal Berlin und irgendwann auch im richtigen Leben - wer's nicht wissen will: Das ist da, wo Werbung läuft.




FAZ
Theater

Premiere: Schlingensiefs "Quiz 3000" in Berlin
Von David Roesner

17. März 2002 Wer zur Zeit die Berliner Volksbühne betritt muss zweimal hinschauen. Der erste Blick reicht bis zum Portal. Er zeigt geschäftiges Treiben, das mit zahllosen Kameras, Videoleinwänden, Internetprojektionen und einem Technikerstab auf Computermonitoren professioneller daherkommt, als es der spätere Ablauf der neuen Show von Christoph Schlingensief und der Sendeplatz für die Aufzeichnung (Offener Sender Berlin, 11. April, 12 Uhr) suggerieren.
Der zweite Blick zeigt Anna Viebrocks Bühnenraum, der ­ in Berlin muss gespart werden ­ kurzerhand aus Christoph Marthalers "Zehn Gebote" übernommen wurde: bröckelnde Fassaden, abgesessene Kirchenbänke, kaputte Neonleuchten; als wär der Hinterhof des Showgeschäfts gemeint. Zwischen diesen Polen bewegt sich der Theatermacher Christoph Schlingensief bei der Durchführung einer etwas anderen Version der Fernsehshow: "Wer wird Millionär?".

Jauchsches Vorbild, Schlingensiefsches Sendungsbewusstsein
Einerseits bemüht Schlingensief sich sehr seriös dem Jauchschen Vorbild nachzueifern - er navigiert seine Kandidaten geschickt durch eine Reihe von Fragen, die neben mancher Überraschung vor allem Nachdenklichkeit, ja Betroffenheit als gewünschten Nachgeschmack erzeugen. Unverholen bleibt hier Schlingensiefs Sendungsbewusstsein, mit dem die Zahl der V-Männer in der NPD oder der prozentuale Anstieg antisemitischer Anschläge im Jahr 2000 als richtige Antworten preisgegeben werden. Andererseits torpediert er Jauchs Konzept, mischt die politische Bildung mit politischer Geschmacklosigkeit, kreuzt engagierte Kandidaten mit belanglosen Showeinlagen, fragt nach der Verbreitung von Vaginalpilz ebenso interessiert, wie nach deutschen Herstellern von Folterwerkzeugen.
An die Stelle der ironisierten Quizshow setzt sich dabei im Verlauf des Abends nichts Anderes, Neues, Fremdes, sondern nur Beliebigkeit. Der wie immer ernst gemeinte aufklärerische Impetus Schlingensiefs versendet sich auch deshalb, weil es in dieser Show eigentlich um nichts geht, weil Schlingensief hier nichts riskiert: nicht einmal der Schlüssel zum Hauptgewinn, ein grüner Mercedes älteren Jahrgangs, passt.

Allzu Konsensfähig
Außerdem fehlt, - vor allem im Vergleich zu Schlingensiefs heiß umstrittener Big-Brother-Aktion in Wien - eine Öffentlichkeit, die tatsächlich Anstoß nehmen würde an den längst bekannten Ingredienzien Schlingensiefschen Treibens: Verwirrung und Provokation durch ungebrochene Affirmation zu erzeugen, wo andere sich politisch korrekt distanzieren oder den Rückzug auf sichere ironische Standorte antreten.
Bei der ganzen Veranstaltung ist zuviel abgeklärter Konsens im Raum, als dass Schlingensief sich genötigt sähe, seine Moderatorenrolle machtvoll und widersprüchlich auszuagieren, wie er das andererorts schon inspirierter und weniger handzahm gezeigt hat.

Ungemütlichkeit als Qualität
Dennoch: In manchen Auftritten gerade der Laien- und damit der Selbstdarsteller, die Schlingensief auf die Bühne holt, ist sie wieder da, diese Unentscheidbarkeit, die mich als Zuschauer beschäftigt, weil offen bleibt, ob das Gezeigte geschickt inszeniert ist oder authentisch und direkt. Ob die Figuren sich selbstironisch präsentieren oder zynisch vorgeführt werden bleibt offen. In dieser ungemütlichen Schwebe liegt das Potenzial von Schlingensiefs Bühnenereignissen - und die konnte er vor dem Hintergrund des erdschweren Quizbetrieb kaum entfalten.



DER STANDARD

19.März 2002

Der Jauch von nebenan

Christoph Schlingensief rührt weiter um im bundesdeutschen Gemütsleben: Mit seinem "Quiz 3000 - Du bist die Katastrophe" gibt er an der Berliner Volksbühne die TV-Rateonkel der Lächerlichkeit preis.
Christian Kageneck


Berlin - Am Anfang steht die Provokation - das war bei Christoph Schlingensief schon immer so. Der selbst ernannte Berufsrebell ist noch längst nicht ans Ende seiner Provokationen gelangt. Diesmal hat er die gute alte Quizshow aufs Korn genommen. Nichts ist schlimmer für einen Berufsprovokateur, als wenn ihm die Feinde ausgehen. Das ist zu Schlingensiefs Problem geworden: Schon in seiner letzten Show, Rosebud, über einen Frankfurter Zeitungstycoon musste er eine Niederlage einstecken.
FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, den er unter der Gürtellinie zu treffen hoffte, zieht mit seinem Feuilleton in Berlin ein. Womöglich macht er Schlingensief noch ein Angebot: Querulanz für Quoten. So werden Kritiker befriedet, und die Brandstifter sterben aus. Gala heftet sich den russischen Erfolgsschrift- steller Wladimir Kaminer mit hübschen Sümmchen ans Revers. Dieser bedankt sich süßholzraspelnd ("Gala ist Deutschlands bester Götterbote!").
Jeder ist käuflich. Das hat Schlingensief klar erkannt, und der Kölner Filz bestätigt es. Im neuen Quiz 3000 - Du bist die Katastrophe, uraufgeführt an der Berliner Volksbühne, legt sich Schlingensief mit dem guten alten Ratespiel an. Seit Robert Lemke und seinem "Welches Schweinderl wollen S' denn haben?" saßen nicht mehr so viele Deutsche vor der Flimmerkiste. "Wissen lohnt sich", ein Spruch der alten Lateiner, hat die Gegenwart mit der höchsten kapitalen Trefferquote erreicht. Und niemand musste sich bis dato dafür schämen.
Auf der unaufgeräumten Volksbühne nehmen 14 von Telefon-Scouts aufgespürte Kandidaten Platz. Es sind markante Typen darunter: ein Serbe im Mafia-Outfit, ein kahler Physiker und eine schrille Kandidatin von der PDS. Alles hat den Anschein von Reality-TV. Schlingensief ist im mausgrauen Jauch-Anzug mit passender Krawatte angetreten. Die Fragen beziehen sich auf die deutsche Geschichte der Verdrängung.
"Ordnen Sie folgende Konzentrationslager von Nord nach Süd A: Auschwitz, B: Bergen-Belsen, C: Dachau." Das wissen viele. Keine Trefferquote für den Jauch-Vertreter. Doch dann: "Wie viele Kurden wurden aus Deutschland in die Türkei ausgewiesen und dort zu Tode gefoltert?" Hier versagen die Kandidaten reihenweise und schießen weit übers Ziel. Schlingensief: "Leider falsch. Es waren sieben!"
Jauch/Schlingensief setzt ein bubenhaftes Grinsen auf und frohlockt über die Versager. Political Correctness und Zuschauerverhalten liefern sich vor den aufzeichnenden Kameras erstaunliche Gefechte. Der Drang zur rücksichtslosen Unterhaltung auf hohem Niveau überschreitet jedwede Furcht vor dem Tabu des Unaussprechlichen.
Ein öffentlicher Talkmaster kann alles, weiß alles, darf alles. Das Publikum wiederum weiß nichts, kann nichts und wird mit guter Laune bezahlt. Mit dieser Prämisse lässt sich überall auf der Welt gutes Geld verdienen, weil die Quote stimmt.
Schlingensief machte deutlich, dass er sein Publikum traumsicher dahin bekommt, alle Schranken des guten Geschmacks zu unterlaufen. Dass er dabei als Mephisto im Schafspelz auftrat, ist ihm nicht anzukreiden. Erst in der TV-Sendung in ein paar Tagen wird manchem im Publikum ein Licht aufgehen. Und die Katharsis einsetzen. Dann könnte der Hohlspiegel zum Zerrspiegel werden.



taz
18. März 2002


Der Zusammenhalt der Showleute


An der Volksbühne setzte Christoph Schlingensief die aktuelle TV-Quiz-Manie als ein weiteres Seventies-Trash-Revival in Szene. Was bei Günther Jauch der beste Freund ist, den man in der Not anruft, besorgten bei "Quiz 3000" "Promijoker" wie Rolf Eden
von DETLEF KUHLBRODT


Auf einem Podest vor der Volksbühne stand ein grüner Mercedes, kein neues Modell, aber sauber: der Preis, den der Hauptgewinner von Christoph Schlingensiefs neuer Produktion "Quiz 3000: du bist die Katastrophe" nach Hause mitnehmen würde. Das Auto schien so leicht wehmütig für die 70er-Jahre zu stehen, als ein Mercedes noch eine Million wert war, fortschrittliche Kreise dessen Sterne sammelten, James Last auf Sylt war, Rudi Carrell "Am laufenden Band" machte und die RAF ihren politischen Existenzialismus; Rot und Orange dominierten und die Grünen kamen erst später. Vieles von dem, was Christoph Schlingensief macht, ist mit den 70er-Jahren-in-den-Augen-eines-Teenagers verbunden, der die Dinge in einem wirren Nebeneinander wahrnimmt, der sich nicht weniger an Christian Anders und Ingrid Steeger abarbeiten muss (deshalb die Tränen) als an Alexander Kluge und Andreas Baader.

Irgendwann am Freitagabend sagte Christoph Schlingensief, die 70er-Jahre würden wiederkommen, nicht als Farce und sowieso nicht als dasselbe, sondern als Wiederholung, die das Wiederholte erst ganz wirklich macht, wie das Wort "Rosebud", das dem Sterbenden seinen Frieden schenken möchte. Die Quizmania ist ein Seventies-Revival.

Alles wieder noch einmal. Radikale Grüppchen, entschiedene Praxiswünsche. "Ficken für den Frieden" und Helga Goetze, die auch mit dabei war, durchaus souverän. Vielleicht waren die 70er die Hoch-Zeit der Quizsendungen. Bis weit in die 90er hatte man Abstand vom Ratespiel genommen, und seitdem rätselt es wieder in Strömen, und wenn man sich das Wort "Quiz" länger anschaut, guckt es ziemlich schnell ziemlich seltsam zurück.

Günther Jauch gilt als klügster Mensch Deutschlands. Bildungsratetrash gibts auf vielen Kanälen. Manchmal knurren die billigeren KandidatInnen komisch, wenn sie die richtige Antwort gaben und Gott sagt, es war gut so. Bildungstrash ist Teil eines Systems, in dem die dümmsten Verbrecher, Frauen, Autofahrer mit den klügsten Lehrern Deutschlands (nach Jauch am Samstag) Fang den Hut spielen, und vor der Werbung sagt die normalotrashmäßige Moderatorin: "Nach der Werbung werden hier 14 Lehrerinnen zu sehen sein. Dazu möchte ich Sie wieder vollzählig im Klassenzimmer versammelt sehen."

Früher warst du Chance und wähltest dich selbst; nun bist du die Katastrophe als Bewegungsprinzip und sorgst für Unterhaltung im Klassenzimmer des Lebens: als Philosophie studierender Kandidat, der gegen den Rat des Publikums und gegen die mimisch-gestischen Empfehlungen von Schlingensief = Jauch darauf tippt, dass Nordkorea nicht zur "Achse des Bösen" gehört, sondern Afghanistan, als Zuschauer vor dem TV, der die Antwort weiß, aber eben nicht an dem Ort ist, an dem dies Wissen Sinn und Bedeutung hat, als Promijoker Rolf Eden in der Volksbühne. Was der beste Freund bei Jauch ist, den man anruft, wenn man nicht mehr weiterweiß, der vor seiner Antwort immer sagt, aber du wirst auch noch mit mir sprechen, wenn meine Antwort wichtig war, ich bin da ja kein Experte, ist der Promijoker bei Schlingensief, der neben andren Promijokern (Helga Goetze usw.) im schalldicht fensterlosen Container sitzt und nicht weiß, was er mit den andren Promis reden soll (Schlingensief sollte man ja auch mal gemacht haben, denkt es im Promi wohl), und dann kommt die Frage: "Welcher Talkmaster erhielt Geld aus Reihen der CDU, um Parteimitgliedern keine kritischen Fragen zu stellen. A: Johannes B. Kerner, B: Sandra Maischberger, C: Klaus Bresser, D: Erich Böhme?" Der alte Frauenfreund zierte sich, sonnenbankbraun im Gesicht. Nein, er könne sich ja überhaupt nicht vorstellen, dass einer von denen. - Es gebe da aber Aussagen von zwei Redakteuren, das sei alles wasserdicht, also Johannes B. Kerner. - Nein, nein, das kann ich nicht glauben, auch dass ein Kollege das erzählen würde. Denn: "Die Showleute halten alle zusammen. Immer!" Das war der Effekt, den man hatte haben wollen, der Satz, der als Satz Korruption bestätigte, wo er sie abstritt. Würdevoll und vielleicht auch ein bisschen traurig ging dann Rolf Eden wieder.

Über einiges ließe sich reden, etwa Fragen nach der Größe von Stehzellen in Auschwitz oder danach, ob aus den Haaren der Häftlinge Teppiche oder Rasierpinsel gemacht wurden oder ob Penisverholzungen und -verkrümmungen lustig sind und was das dann heißen würde, auch in Bezug auf das fraglose Holocaust-Mahnmal, in dem die Details der Vernichtung verwandelt sind; oder ob Quiz eine gute Form der Volksbildung ist. Oder ob man vielleicht eine Quizpartei gründen sollte. Im Spannungsfeld dieser Fragen stand der bunte Abend, für dessen ordnungsgemäßen Ablauf OSta Dietrich Kuhlbrodt sorgte und der mit einem von Schlingensief gesungenen Lied von Rocko Schamoni ausklang. Der Pförtner war begeistert. Es wurden 9 Euro für ein Kinderheim in Afghanistan gesammelt und die Volksbühne legte noch einmal den gleichen Betrag drauf.